Donnerstag, 18. Oktober 2007

Predigt über Johannes 12 am 02. August 2007

"Die Kirche im Dorf lassen" und andere Eseleien -

Worum es Jesus eigentlich geht ...

Johannes 12,12-16: Jesus wird in Jerusalem als König empfangen
12 Am nächsten Tag verbreitete sich in der ganzen Stadt die Nachricht, daß Jesus auf dem Wege nach Jerusalem war.13 Da brachen die Menschen Palmenzweige ab, liefen Jesus entgegen und riefen ihm begeistert zu: «Gelobt sei Gott! Gelobt sei, der in Gottes Namen kommt! Heil dem König von Israel!» 14 Jesus ritt auf einem Eselsfohlen in die Stadt. Damit erfüllte sich das Prophetenwort: 15 «Fürchte dich nicht, du Volk Israel! Dein König kommt! Er reitet auf einem Eselsfohlen.» 16 Doch das verstanden seine Jünger damals noch nicht. Erst nachdem Jesus in Gottes Herrlichkeit zurückgekehrt war, begriffen sie, dass sich hier die Voraussage der Heiligen Schrift erfüllt hatte.

So, so! So kommt also dein König: auf einem Esel (vgl. Sach 9,9). So hat es der Prophet Sacharja 500 v. Chr. vorausgesagt - und so ist es dann auch gekommen! Und ehrlich: Mich hat das schon als Kind gestört! Ich hätte Jesus lieber auf einem Pferd gesehen - auf einem schönen, edlen Pferd. Das hätte ihm zugestanden. So habe ich die Sache damals zumindest gesehen.

Und damit war ich Kind meiner Zeit und meines Kulturkreises, in dem der Esel nicht gerade angesehen ist. Er gilt bei uns als störrisch - und das nicht von ungefähr: Es hat eine lange Geschichte, die schon in der Römerzeit beginnt und die den Esel als Inbegriff der Dummheit abstempelt.

Heute weiß ich mehr! Es hat eben eine Bedeutung, dass Jesus, der König, auf dem Esel kommt - und nicht auf dem Pferd oder in einer Staatskarosse! das hat was zu sagen! Das sagt was über Jesus selbst - und das sagt was über die Menschen, die ihn da in Jerusalem einziehen sehen! Sie machen alles richtig dort, die Menschen an den Straßen: Sie empfangen Jesus tatsächlich wie einen König! Sie legen Palmzweige, Blumen und Kleider auf die Straßen und sie rufen: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“

Alles richtig, was sie da machen, was da laut wird, was da zu sehen ist! Aber wie denken sie wohl? Denken sie vielleicht wie ich gedacht habe: „Mensch, kein Pferd? Keine Staatskarosse? Wie will der uns helfen? Auf einem Esel!?“

In den Geschichten der Bibel spielt der Esel nun schon eine besondere Rolle. Da ist er weniger ein dummes, störrisches Tier - sondern will was sagen: Und zwar über den, der auf ihm sitzt!
Ich versuche das einmal ganz kurz auf den Punkt zu bringen und sage: Wer in der Bibel auf dem Esel reitet, der kommt - ganz anders als der Reiter hoch zu Ross - in friedlicher Absicht! Der kommt als Friedensfürst, der kommt als Friedenskönig! Der kommt als Messias! So erzählen es die Propheten der Bibel.

Aber - und das halte ich jetzt für wirklich entscheidend:
- Der kommt als jemand, der was von dir will!
- Der will, dass du dich zu ihm stellst!
- Dass du dich zu ihm in ein Verhältnis setzt!
Mir geht das immer noch im Kopf und im Herz herum, was Martin Buchholz hier vergangenen Samstagabend gesagt hat: „Gott braucht Sie!“
Was heißt das? Wissen Sie, wer zu Pferd kommt oder in einer Staatskarosse, der braucht uns nicht mehr, dem ist das egal, wie du zu ihm stehst! Der hat nämlich die Macht und nutzt sie - eiskalt! Dem geht es nicht um dich! Der braucht dich schon gar nicht mehr!

Jesus, dieser Mann, der da in Jerusalem einzieht auf einem Esel, der zwar empfangen wird wie ein König, kommt aber ohne Purpurmantel, kommt aber ohne die Insignien eines Königs, kommt ohne Truppen und ohne Bodyguard!
Und das was die Leute da an den Straßen für ihn veranstalten und auf die Beine stellen, das mag alles ganz richtig und ordentlich sein; aber das passt letztlich überhaupt nicht zu dem, worum es Jesus geht! Das passt nicht zu dem, was er braucht - von uns braucht ...
- Jesus möchte nicht äußerliche Huldigung, möchte nicht Palmenzweige und große Worte!
- Jesus möchte nicht äußerliche Ehrerbietung aufgrund von Wundertaten!

Der Evangelist Johannes, der diese Geschichte erzählt, hat schon einen Grund, warum er das Verhalten dieser Leute so dezidiert beschreibt:
Denn ein paar Tage später schon sind sie anders! Da ist Schluss mit Jesus! Weg, weg mit dem!

Jesus möchte nicht äußerliche Ehrerbietung! Jesus möchte keine sonntägliche Verehrung!
Jesus möchte ins Zentrum des Lebens! Jesus möchte ans Herz! Jesus möchte wissen: Wie stehst du zu mir? In welches Verhältnis setzt du dich und dein Leben zu mir? Jesus braucht ein Antwort auf diese Fragen!

Sehen Sie, die Menschen da an den Straßen, so wie sie heute sind und so wie sie in ein paar Tagen sein werden - die denken doch:
Das reicht doch aus, was wir hier machen! Wir machen es ihm nett. ‚Dein Zion streut dir Palmen!’ Wir sagen die Sachen, die sich für so eine Gelegenheit gehören: Hosianna. Gelobt sei, der da kommt!

Aber darum geht es nicht! Ich mache das heute mal an einer anderen Geschichte aus dem Johannesevangelium fest ...

Da ist einer, der heißt Nikodemus! Ein berühmter Mann aus der religiösen Führungselite! Und der kommt in der Nacht zu Jesus. Und wahrscheinlich muss er in der Nacht kommen, damit er nicht gesehen wird, sonst ist seine Stellung in Gefahr. Aber er kommt! Und das ist erstmal entscheidend!

Und dann macht er im Grunde genau das, was die Leute da an den Straßen Jerusalems tun. Er streut Jesus keine Blumen auf den Weg, aber er zeigt ihm seine äußerliche Ehrerbietung aufgrund der Wundertaten, die er von Jesus gehört hat! „Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm!“ (Joh 3,2).
Und erstaunlich ist, was ihm Jesus sofort und ohne mit der Wimper zu zucken antwortet: „Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen!“ (3,3).
Also: „Egal, was du gehört hat, was die Leute über mich sagen, suchst du in mir nur den tollen Lehrer, Guru, Wundertäter, dann siehst du mich nicht richtig! Du musst von neuem geboren werden, um zu sehen, das in der Begegnung mit mir Gottes Chance für das Leben der Welt steckt! Für dein Leben!“

Jesus möchte ins Zentrum des Lebens! Jesus möchte ans Herz! Jesus möchte keine Ehrbezeigungen, sondern Jesus möchte wissen: Wie stehst du zu mir? In welches Verhältnis setzt du dich und dein Leben zu mir?

Und Nikodemus spürt diesen Griff, diesen Griff nach dem Zentrum seines Lebens, diesen Griff Jesu nach seinem Herzen - und lenkt ab!
„Wie kann ein Erwachsener neu geboren werden? Er kann doch nicht wieder in den Mutterleib zurück und noch einmal au die Welt kommen!?“ (3,4). Aber Jesus rückt nicht davon ab: „Nur wer durch Wasser und Gottes Geist neu geboren wird, kann in Gottes neue Welt kommen!“ (3,5).

Gut, aber stellen wir uns trotzdem mal der Frage des Nikodemus: Warum soll denn nun diese eine Geburt, mit der ich auf diese Welt gekommen bin, nicht ausreichen?
Merken Sie, dass das ein fauler Einwand ist? Eine faule Frage! Ist das denn Leben? Reicht das aus: Morgens aufstehen, Zähne putzen, frühstücken, arbeiten, essen, arbeiten, essen, fernsehen, schlafen, Morgens aufstehen, Zähne putzen, frühstücken, arbeiten... und so weiter.
Das hat Nikodemus! Und er hat sogar noch mehr: Die Maske nach außen, der Schein funktioniert: Ansehen, Anerkennung, Einfluss, Besitz! Alles stimmt!
Nur: Der Mann kann nachts nicht schlafen! Vielleicht, weil ihm das alles nicht mehr ausreicht! Weil er das Gefühl nicht los wird, dass er nicht sein Leben lebt, sondern das das Leben ihn lebt! Die Anforderungen, die Ansprüche von außen - beruflich, familiär, privat, ... die Vergangenheit, ... die eingefahrenen Spuren, aus denen man nicht mehr rauskommt!

Ich kenne viele Leute, die wollen und nicht können. Leute, die sich voll Begeisterung auch hier in unsere Gemeindearbeit hineinschmeißen - und dann läuft irgendwas nicht so, wie sie wollen, dass es läuft. Und dann werden sie bitter, wenden sich ab. Oder sie werden böse und bissig! Palmsonntag: Helle Begeisterung! Karfreitag: Tiefste Entrüstung und Rückzug in die Gleichgültigkeit! ... die eingefahrenen Spuren, aus denen man so gerne raus will und doch nicht mehr herauszukommen scheint! Nikodemus! -

Kennen Sie dieses Gebet des alten Kirchenvaters Augustinus? Dieser Mann hatte ein zutiefst bewegtes Leben! „Du hast uns zu dir hin geschaffen, Herr - und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir!“ - Nikodemus hat dieses unruhige Herz. Die Menschen an den Straßen Jerusalems haben dieses unruhige Herz!
„Du musst von neuem geboren werden!“, sagt Jesus.
Ich habe es heute ein bisschen mit den Zitaten. Gleich noch eins! Kennen Sie auch. Es stammt von Angelus Silesius (1674): „Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, und nicht in dir, du wärest ewiglich verloren“. - Ich kann es heute noch anders sagen - und dann bleibt es genauso richtig:
„Und wäre Christus tausendmal in Jerusalem eingezogen, und nicht in dein Herz, du wärest ewiglich verloren“.

Sehen Sie, es geht Jesus um unser Herz! Um das Zentrum unseres Lebens! Jesus möchte wissen: Wie stehst du zu mir? In welches Verhältnis setzt du dich und dein Leben zu mir?

„Du musst von neuem geboren werden!“, sagt Jesus! Ein Kind, das geboren wird, ist ganz das Kind seiner Mutter. Es kann nichts! Aber es kann alles zum Leben Notwendige lernen, dieses wunderbare Geschenk Leben begreifen durch die Liebe und die Zuwendung seiner Mutter!

Wenn ich im Sinne Jesu neu geboren werde, dann bin ich ganz ein Kind Gottes!
Ich kann zwar schon eine ganze Menge. Ich bin größtenteils vernünftig. Ich versuche aufrichtig zu leben, nicht zu lügen und zu betrügen! Ich versuche zu helfen, wo ich kann! Ich versuche zu lieben! Aber das ist nichts Besonderes! Das tut jeder Mensch - egal welchen Glaubens oder politischer Couleur! Selbst ein kompletter Atheist! Und nichts davon wird mich Gott näher bringen!

Gott näher bringen wird mich nur, wenn ich akzeptieren kann, dass mein Leben zutiefst mit ihm verbunden ist! Jesus sagt dem Nikodemus: „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. ... Wer aber nicht an ihn glaubt, über den ist das Urteil schon gesprochen!“ (3,16+18).
Was ist das? Ist das eine Drohung! Nein!
Das ist der Entscheidungspunkt für das Leben schlechthin: Das ist Jesu mit allem Ernst ausgesprochene Einladung zum Glauben! Das ist die Einladung zu einem Leben, das sich nicht irgendwann in gescheiterten Versuchen verliert, sondern gewinnt!
„Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir!“ Und genau das werde ich lernen als neugeborenes Gottes Kind: Glauben! Lernen, dass es im Leben auf mein Verhältnis zu Gott ankommt! Darauf wie ich Jesus Frage beantworte: Wie stehst du zu mir? In welches Verhältnis setzt du dich und dein Leben zu mir?

Johannes wird so gut wie nichts mehr von Nikodemus nach diesem Nachtgespräch erzählen! Vor allem nicht Spektakuläres. Aber direkt nach Jesu Tod, als die Jünger sich vor lauter Angst versteckten, dass auch sie so enden würden wie er, da waren es nur ein paar Frauen und eben dieser Nikodemus, die ganz klar zu Jesus standen und ihm ein ordentliches Begräbnis verschafften. Ganz schön mutig! Ich stehe zu dir!

Noch mal zurück zur Geschichte vom Anfang - vom Einzug in Jerusalem. Direkt im Anschluss an dieses scheinbar so triumphale Spektakel kommen einige Griechen; und sie sagen den Jüngern: „Wir möchten Jesus kennen lernen!“ (Joh 12,21). Und nachdem die Jünger sie zu Jesus gebracht haben, da sagt er ihnen, die ihn kennen lernen wollen:
„Ich sage euch die Wahrheit: Ein Weizenkorn, das nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt ein einzelnes Korn. In der Erde aber keimt es und bringt viel Frucht, obwohl es dabei stirbt. Wer an seinem Leben festhält, wird es verlieren. Wer aber sein Leben loslässt, wird es für alle Ewigkeit gewinnen! Wer mir dienen will, der soll mir folgen!“ (12,24-26).

Letztlich sagt ihnen Jesus hier dasselbe wie damals dem Nikodemus: „Ihr müsst von neuem geboren werden! Ihr müsst euer Leben, das sich irgendwann in gescheiterten Versuchen verliert, loslassen, um zu gewinnen!“ - Neues Leben entsteht nur aus dem Tod! Aus dem endgültigen Abschied vom Alten!

Da gab es hier in Bochum mal einen Musicalstar aus England. Er machte mit beim Starlight Express. Er hatte einen tödlichen Motorradunfall. Und seine Freunde hier in Bochum wünschten sich eine Trauerfeier für ihn. Sie riefen einen englischen Pfarrer an, der sich zufällig hier in Bochum aufhielt - und baten ihn, die Trauerfeier zu halten. Er tat das. Und danach trafen sie sich wieder. Denn das war die Geburtstunde der englischsprachigen evangelischen Gemeinde in Bochum!

Merken Sie den Unterschied? Gemeinde baut man nicht mit falscher Begeisterung von den Straßenrändern aus! Nicht mit falscher Begeisterung von den Rändern des Lebens aus! Nicht mit falscher Begeisterung für Traditionen, die mit dem Alltag des Lebens nichts zu tun haben! Nicht mit voreiliger Ergriffenheit! „Man“ baut gar nicht Gemeinde! Sondern Gott baut Gemeinde - und gibt seinen Sohn dafür her! Jesus baut Gemeinde - und gibt sein Leben dafür her!
„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“
Jesus ist dieses Weizenkorn. Und er sagt: „Wer mir dienen will, der folge mir nach!“

Gemeinde wird gebaut, wo Menschen zu Jesus stehen. Wo Menschen mitten im Leben von ihm ergriffen sind. Und zwar viel zu sehr ergriffen, um irgendwelche triumphalen Sprüche abzulassen, die doch bloß ein Strohfeuer sind, das am Sonntag brennt und am Freitag nicht mal mehr glimmt!
Und ich finde, Gott hat uns in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren Fortschritte geschenkt. Nicht Rückschritte! Es ist keine Zeit für Triumphrufe an den Straßenrändern! Sicher nicht! Aber es ist Zeit für Dankbarkeit, dass unser Vater im Himmel unserer Gemeinde Leben und Lebendigkeit schenkt!

Und das macht mir Mut, Menschen wie Sie zu bitten, um Ihren Einsatz zu bitten:
- Um Ihren Einsatz von Vertrauen, das Gott das auch weiter tun wird!
- Um Ihren Einsatz von Zeit, von Zeit für das Gebet für unsere Gemeinde, für die vielen Menschen hier, die zwar nominell zu uns gehören, aber nicht den Weg in unsere Gemeinschaft finden! Für die Menschen, die hier Verantwortung tragen, für unser Presbyterium, für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für unsere Pfarrerinnen und Pfarrer!
- Und ich bitte auch um Ihren Einsatz von Geld! Nicht damit hier alles beim Alten bleibt, und die Menschen an den Straßenrändern noch zufrieden nicken, weil die Kirche noch im Dorf steht!
Nein, ich bitte um all das und um Geld, damit wir weiter mit Jesus auf die Menschen zugehen können, nicht um Beifall zu gewinnen, sondern um ihre Herzen zu gewinnen: für Gott!